Pauluskirche Zehlendorf 21.S.n.Tr.,
Pastorin i.R. Cornelia Füllkrug-Weitzel
Predigt über Röm. 12, 16 b- 21
Haltet euch nicht selbst für klug. 17 Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann. 18 Ist’s möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden. 19 Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben: »Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.« 20 Vielmehr, »wenn deinen Feind hungert, so gib ihm zu essen; dürstet ihn, so gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln« 21 Lass dich
nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.
Mitten rein in unsere Sorgen und Gedanken dieser Predigttext! Wie ein unsichtbarer angstmachender Schatten aus dem Hause Harry Potter wabert ‚das Böse‘ als Narrativ seit Wochen durch unsere Gedanken. In den Schlagzeilen Europas wimmelt es nur so von ‚Bösen‘. Das Etikett wird gerade schnell aufgeklebt ohne zu definieren, wer oder was das Böse ausmacht: Der schwedische Ministerpräsident sagt nach der brutalen Ermordung zweier Schweden in Brüssel: ‚das Böse‘ bricht über die schwedische Nation herein. Die barbarische Gewalt von Hamas und Islamischem Dschihad an Israels Zivilbevölkerung wird
Manifestation des Bösen genannt. Die Öffentlichkeit ruft nach Vergeltung gegen das sog. inkarnierte Böse namens Hamas. Und die rufen weltweit auf zur Rache am Bösen. Das sehen sie im Staat Israel, gar im weltweiten Judentum, geradezu verkörpert. Wenn wir die Ukraine unterstützen, dann kämpfen wir gegen das Böse und Russland tut das umgekehrt aus seiner Sicht auch. Entgrenzte Gewaltbereitschaft und hassverzerrte ‚Fratzen‘ auch in unserer Stadt.
Gewaltverherrlichung und Hass-Narrative. Politischer Halloween– spooky! Kein Wunder, dass uns der Umgang mit alledem umtreibt und wir an einer gedanklichen und moralischen Zeitenwende nagen.
Nicht, dass es Hass- und Gewaltorgien nicht auch in Nigeria, in der von Gewalt seit Jahrzehnten geschundenen DR Kongo, in der ZAR, im Jemen, in Lybien, in Tschetschenien, im Irak und Syrien gegeben hätte und noch gibt. Aber hier, im – von uns als zivilisiert beschriebenen – Teil der Welt? Da sind wir sowas schon seit Jahrzehnten nicht mehr gewohnt. Die Gewaltbereitschaft scheint plötzlich von außen wie etwas Übernatürliches über uns herein zu brechen! Rezepte werden gesucht, wie man die Bösen besiegen kann. Da fallen schnell die Hüllen der Humanität. Humanitäre Regeln werden bei Seite geschoben. Vielen scheint völlig unstrittig: Die Bösen muss man mit dem Bösen bekämpfen – eine andere Sprache verstehen die nicht. Ein anderes Mittel wirkt nicht mehr – scheint’s… denn das sind – Zitat! -‚Tiere‘, die man auch so behandeln muss. Allein der Sieg über sie zählt – wie auch immer! Wie auch immer?
Ja, Freunde, es wäre echt schön, wenn dieser Spuk ebenso rasch vorüber ginge wie Halloween und wenn das Gute, die Guten siegen würden. Aber wie? Wodurch? Und wer wären denn die ‚Guten‘? Von alledem spricht unser Predigttext aus dem Römerbrief. Erwartet aber keine einfachen Handlungsanleitungen – so nach dem Motto: wenn Ihr das und das tut, dann siegt das Gute! Als könnten wir das Gute überhaupt siegen lassen!
Dazu ist zweierlei zu sagen:: Paulus weiß selbst sehr gut, dass kein Mensch, auch kein Apostel, das Gute einfach mal so in sich trägt und es nur rauslassen muss. Im 7.Kapitel seines Briefes an die Römer schreibt er sehr eindeutig: „Ich weiß, dass in mir, in meinem Fleisch nichts Gutes wohnt. Wollen habe ich wohl, aber das Gute vollbringen finde ich nicht. Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht, sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich“ (Röm.7, 18-19). Wir sind unfähig zum
Guten, sprich dazu, wozu Gott uns geschaffen hat. Das ist eine zentrale Erkenntnis unseres Glaubens.
Es gab mal einen Film, in dem 4 ehemalige bewaffnete ANC-Kämpfer nach dem Ende der Apartheid über mehrere Jahre immer wieder interviewt wurden: wie konntet Ihr Euch nach dem Ende des bewaffneten Kampfes in die neue Gesellschaft eingliedern? Klappt es wieder mit einem normalen Leben? Ihr Fazit ca. 8 Jahre danach: der bewaffnete Kampf hat unser Innerstes zerstört. Wir können nicht mehr lieben, vertrauen und in Gemeinschaft leben. „Wir wollten den Teufel besiegen, dabei wir sind selbst zu Teufeln geworden“ lautet ihr Schluss-Statement. Gewalt, nennen wir sie ‚das Böse‘, zerstört nicht nur die Opfer. Sie übernimmt auch die Regie in den Tätern. Und wir wissen: das gilt in jahrelang tobenden Gewaltkonflikten auch für die nachfolgenden Generationen.
Was für ein fundamentales Missverständnis also, zu glauben, dass wir aus eigener Kraft in einem Kreuzzug gegen das Böse siegreich sein könnten. Ebenso falsch ist der Glaube, dass wir diesen Kreuzzug überhaupt führen müssten! Paulus geht von einer ganz anderen Voraussetzung aus. Ein ganz Anderer hat bereits für uns einen erfolgreichen Kreuz-Zug gegen das Böse geführt. Jesus hat diesen Sieg an unser Statt bereits errungen – aus Liebe und mit Liebe. Kreuz, Tod und Teufel haben ihre Macht seit dem bereits verloren. Diese Erlösung vom Bösen, die Gott im Mann am Kreuz schon längst erledigt hat, ist Voraussetzung, ist Ausgangsbasis unseres Kampfes mit dem Bösen. Gott selbst hat uns vom Bösen erlöst Das ist eine zweite fundamentale Glaubenserkenntnis. Es muss uns nicht mehr beeindrucken und
substantiell beängstigen. Wir haben es nicht einmal mit ‚Nachhutgefechten zu tun – der Sieg wurde ein für alle Mal errungen.
Diesen Sieg sollen wir gelten lassen, darauf sollen wir schauen, darauf sollen wir bauen und aufbauen, wenn alle zum Kampf gegen ‚das Böse‘ aufrufen. Jetzt geht es für uns ‚lediglich‘ darum, in Jesu Sieges-Spur durch die Welt zu bleiben- wie in einer gespurten Loipe. Es geht darum, nach seiner Logik zu ‚kämpfen‘, statt sich wieder in die alte Logik hinein ziehen zu lassen.
Jesus hat ganz anders als wir üblich kämpfen. Und das muss man auch unserem Widerstehen gegen das Böse abspüren. Jesus hat ihn mit der Kraft der Liebe zu uns Menschen durch Kreuz und Tod hindurch errungen, neues Leben für uns gewonnen. Er hat den vielfältigen Versuchungen, die der Teufel im Laufe seines Lebens für ihn bereithielt, standgehalten. Am Schluß -angesichts des nahenden Todes – der Versuchung, Verräter und Häscher zu verteufeln und zu seiner Selbstverteidigung zum Schwert zu greifen. Ein Kreuz-Zug ohne Menschen als Böse zu bezeichnen und ohne sie zu dämonisieren. Ein Kreuz-Zug ohne
erbarmungslose Vernichtung von Menschen, sondern nach dem Motto „Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann“.
Nun kommt es für uns als Gemeinde und als einzelne Christenmenschen eigentlich „nur noch“ darauf an, ob wir den Sieg Gottes über das Böse gelten lassen wollen oder nicht. Ihn für wahr halten. Das ist nicht einfach eine friedensethische Frage. Es ist eine zentrale Glaubensfrage! Und es kommt darauf an, ob wir am Sieg Gottes über das Böse teilhaben wollen. Oder ob wir doch selbst in Kreuzrittermanier als Helden auftreten und uns auf das böse Spiel des Bösen einlassen wollen – wieder mit den gleichen Mitteln und Waffen, mit
mehr vom Falschen. Der große Theologe Hans Iwand hat das so formuliert: „Denkt immer dran: das Böse kann auch Euch besiegen. Wenn Ihr Euch darauf einlasst, das Böse auf gleicher Ebene zu bekämpfen, begebt ihr euch doch eures Sieges. Beklagt euch dann nicht, dass das Böse in der Welt herrscht, ihr habt das Erstgeburtsrecht preisgegeben, das euch als Kindern Gottes verleihen ist. Ihr könnt Sieger sein, denn Gott ist Sieger.“
Das ganze 12. Römerbriefkapitel spricht genau davon: Wie wir denn recht kämpfend den Sieg Gottes nach- und mit-vollziehen. Wie wir ihn in der Welt manifestieren können. Wie können wir in unserem Handeln wahr werden lassen, was wir stets beten: „Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit“, Dein ist der Sieg. Lasst uns den Heiligen Geist bitten, uns dabei zu helfen – gerade auch jetzt angesichts aller Hass- und Kampfrhetorik und Gräueltaten.
Naiv und weltfremd? Ja, das ist eine realitätsferne Botschaft im Sinne von: sie bricht endlich mit den alten, vermeintlichen Klugheiten der Welt. Endlich nicht mehr vom Falschen! Das führt uns bekanntlich auch nicht weiter als in die alten Fallen des Hasses und der Gewalt. Nicht zufällig beginnt der Apostel diesen Abschnitt deshalb mit den Worten: „Haltet euch nicht selbst für klug“. Hier braucht es eine ganz andere Weisheit, auch wenn sie höchst seltsam und
scheinbar sinnlos erscheinen mag: das Böse im Guten überwinden und nicht das Böse mit dem Bösen zu bekämpfen. Das Gute in Allen und das Gute für Alle suchen!
Und es braucht auch eine ganz andere Tapferkeit als die Übliche: kein kriegerischer Heldenmut, sondern Zivilcourage: sich gegen den Mainstream von Hassbotschaften und Vergeltungsgekreische zu stellen, die über social media den sog. Volkszorn aufpeitschen und die Wutbürger an die Front rufen – eine ganz neue Kampfeinheit in unserem Land! Sie sorgt dafür, dass die leisen und nachdenklichen Gegenstimmen verstummen! Dem müssen wir unsere Stimmen und Narrative entgegensetzen. Wir brauchen Mut zur Entschleunigung in
den Erregungskurven, Mut zur Nachdenklichkeit statt Hauf Drauf, Mut, die langfristigen Folgen wie auch die komplexen Folgen von Konflikten für Alle und Exitstrategien zu bedenken, Mut, niemanden zu dämonisieren, mit Allen zu verhandeln und nicht schon vorab die sog. Bösen auszuschließen aus dem künftigen Frieden, niemanden für verloren halten und dem Verderben preisgeben. Denn genau das tut unser Gott auch nicht, der alle gut und zum Guten !
Die zentrale Regel in diesem Sieg über das Böse lautet: verfallt nicht dem Fehler, Gott spielen zu wollen! „Vergeltet nicht Böses mit Bösem!“ Denn das kann und darf nur Gott! „Mein ist die Rache“, spricht der Herr! Kein Mensch kann die Waage der göttlichen Gerechtigkeit in der Hand halten. Keiner steht so eindeutig auf der Seite der Guten, dass er dieses scharfe, zweischneidige Schwert handhaben könnte, ohne dass es sich dann auch gegen ihn selbst richtet. Statt uns das Amt von Richtern und Rächern gegen die sog. Bösen unserer Tage anzumaßen, sollen wir vor dem barmherzigen Gott dafür eintreten, dass das vergossene unschuldige Blut nicht über die Welt kommt. Wir sollten beten, dass aus den beiden gegenwärtigen Kriegen
keine Gewaltspiralen entstehen, die große Teile der Welt in den Abgrund reißen.
Neben der zentralen Regel im Kampf gegen das Böse – nämlich Verzicht auf Rache und Vergeltung – nennt Paulus Selbst- und Ehrverzicht. Sich nicht selbst um jeden Preis durchsetzen wollen. Empathie zeigen und die elementaren Lebensbedürfnisse des Feindes erfüllen. Er soll nicht verhungern, verdursten, verbluten, oder an seinen chronischen Krankheiten sterben in diesem Kampf!
Und nun müssen wir nur noch eines klarstellen: Wir missverstehen den Text, wenn wir ihn als unmittelbar politische Handlungsanweisung an Staaten lesen. Staaten haben ihre eigenen Grund-Gesetze und Aufgaben. Dazu gehört der Schutz und die Verteidigung des eigenen Volkes. Paulus spricht in diesem Brief nicht Regierungen, sondern die christliche Gemeinde an, die Kirche. Ihre Aufgabe ist es, gegenüber Staat und Gesellschaft zu bezeugen: auf der
Verteufelung der inneren und äußeren Gegner, auf ihrer De-Humanisierung, auf ihrem dauerhaften Aussschluss aus der Gemeinschaft, liegt kein Segen und keine Zukunft. Darum soll die Kirche stets an Bemühungen mitwirken, zu deeskalieren, Gewalt zu minimieren und Menschlichkeit walten zu lassen. Denn: Gottes Liebe und Erbarmen gilt allen Menschen.
Allesamt sind wir von Gott mit der gleichen Würde ausgestattet. Allesamt sind wir gut und böse zugleich, auf seine Gnade angewiesen. Deshalb haben Christen im 19. und 20. Jh. an der Entstehung und Weiterentwicklung des humanitären Völkerrechts und der UN-Charta mitgewirkt. Beides ist dazu gedacht, Bastionen gegen ungehemmte Gewalt zu errichten, Kriege zu pazifizieren und zu humanisieren. Terrorisierung der Zivilbevölkerung, Gewaltgegen Frauen, Kinder und Schwache, Rachefeldzüge etc. sollen mit dem gegenwärtig
geltenden internationalen Kriegsrecht ausgeschlossen werden. Die Staatenwelt hat sich selbst auf diese christlich-humanen Grundregeln verpflichtet. Politisch Verantwortliche aller Konfliktparteien an die Einhaltung dieser Grundsätze zu
erinnern, ist Aufgabe der Kirchen. Sie aufzufordern, demgemäß Gewalt weitest gehend einzudämmen und einzuhegen und miteinander eine gerechte und friedliche Zukunft zugunsten Aller zu gestalten, ist gerade im Moment nun ihre undankbare Aufgabe. Denn gerade werden diese Grundsätze mit Füßen getreten. Und wir erleben, wie Leute, die an die geltenden Regeln zum Schutz der Zivilbevölkerung erinnern, je nach Kriegsverlauf als einseitig parteiisch abgestempelt und in den sozialen und unsozialen Medien niedergebuht
werden.
Angesichts der gegenwärtigen Kriegs- und Rüstungseuphorien müssen wir immer wieder Gewalt außerhalb der legitimen Zweck und Weisen der UN-Charta de-legitimieren. Zugleich gilt es, immer an die prioritäre christliche Option für Gewaltfreiheit zu erinnern, d.h. an die Notwendigkeit politischer Lösungen von Konflikten, an neue Abrüstungsbemühungen etc. Und ansonsten: lasst uns grundsätzlich aller Dämonisierung und De-Humanisierung von Menschen oder Gruppierungen oder Staaten als ‚die Bösen‘ wehren. Es ist wichtiger denn je,
unseren Glauben an die Liebe und Güte Gottes allen Menschen gegenüber zu bezeugen. Wir sehen uns, wie sie, als erlösungsbedürftig, aber auch erlösungsfähig dank der Liebe des barmherzigen Gottes. Wie naiv ist das denn? So naiv wie unser Glaube.